Gott ist tot: Eine TROPS-Sonderausgabe zum Tod von Diego Maradona
Der wohl größte Fußballspieler der Welt ist mit 60 Jahren gestorben. Wer war Diego Maradona? Und warum ist das wichtig für dich?
Liebe*r Abonnent*in von TROPS,
gestern Abend kam die Eilmeldung auf mein Handy: Diego Maradona ist tot. Und kurz danach stand schon überall auf Twitter: „Gott ist tot.“ So wird der Argentinier von seinen Fans genannt. Politiker*innen, Sportler*innen und Prominente auf der ganzen Welt ehren nun Maradona, Journalist*innen schreiben in kürzester Zeit Nachrufe und heben ihn auf die Titelseiten. Der Mann ist schon längst nicht nur ein Fußballer. Er ist auf der ganzen Welt eine Legende, Teil der Popkultur und Argentiniens Nationalheld. 🇦🇷
Doch wie wurde Diego Armando Maradona zu dieser Figur? Warum ist das wichtig für dich, obwohl du dich jetzt nicht unbedingt für seine traumhaften Dribblings und Tore interessierst? Und was hat das alles mit dem Papst, mit Fidel Castro und der Mafia zu tun?
Das möchte ich in dieser Sonderausgabe von TROPS erklären. Zwar habe ich Maradona nie live spielen sehen – aber spätestens seit der Doku über ihn (siehe TROPS-Tipp weiter unten) bin ich ein großer Fan. Ich habe nun die wichtigsten Artikel für dich rausgesucht und zusammengefasst. Außerdem erklärt ein Professor für Popkultur bei TROPS, warum Maradona Teil der Popkultur werden konnte – und wieso man ihn mit Michael Jackson vergleichen kann.
1. Wer war Diego Maradona?
Der kleine Diego wächst in sehr armen Verhältnissen auf. Es ist das Jahr 1960 und seine Familie lebt in einer Villa Miseria (dt. Elendssiedlung) am Stadtrand von Buenos Aires. Für Maradona gibt es schon als Kind nur den Fußball. ⚽️
Maradonas Talent fällt schnell auf. Er wechselt zu den Boca Juniors, einem großen Fußballverein in Buenos Aires, danach zum FC Barcelona und zum SSC Neapel.
Immer wieder gibt es Gerüchte um Maradonas Nachtleben – mit Kokain kommt er wohl erstmals während der Zeit in Barcelona in Kontakt. In Neapel kommen Gerüchte um Beziehungen zur Mafia dazu.
Seinen Höhepunkt hat Maradona bei der Weltmeisterschaft 1986, wo er Argentinien zur Weltmeisterschaft führt. 🏆
Nach seiner Karriere arbeitet Maradona unter anderem als Nationaltrainer. Immer wieder musste er ins Krankenhaus, auch wegen Alkoholproblemen.
“Diegito,” shouted his uncle Cirilo as he helped him out, “keep your head above the shit.” It was a phrase Maradona would repeat like a mantra in the more difficult moments of his life.
Wenn du mehr zu Maradonas wirklich verrücktem Leben wissen willst, kann ich dir diesen Text von Jonathan Wilson im Guardian empfehlen. Wilson erklärt auch, warum ein Fake-Penis in einem Museum in Buenos Aires ausgestellt wurde. Ein sehr guter deutscher Text kommt von Peter Ahrens beim Spiegel.
2. Was dachte Maradona über Politik?
Diego Maradona hatte besondere Tattoos: Auf seinem rechten Oberarm war das Porträt von Che Guevara, auf seiner linken Wade ein Bild von Fidel Castro. 🇨🇺
Maradona positionierte sich immer wieder gegen die Außenpolitik der USA und unterstützte den mittlerweile ebenso verstorbenen Präsidenten von Venezuela Hugo Chávez.
1995 versuchte er, eine Art Gewerkschaft für professionelle Fußballspieler zu gründen.
A Catholic, he met with Pope John Paul II and told the press afterward, “I was in the Vatican and I saw all these golden ceilings and afterwards I heard the Pope say the Church was worried about the welfare of poor kids. Sell your ceiling then, amigo, do something!”
Mehr zu seinen politischen Äußerungen gibt es in Dave Zirins Text in der US-amerikanischen Zeitschrift „The Nation“. In der NZZ schreibt Thomas Milz, dass Maradona „ohne ideologischen Kompass durch die Welt“ ging.
3. Was bedeutet Maradona für die Popkultur?
Irgendwie kennen wir ja alle Maradona. Denn der Argentinier ist weltweit zum Teil der Popkultur geworden: Menschen tragen sein Gesicht auf T-Shirts, Bands widmen ihm Songs und überall kennen die Menschen ihn als Fußballgott. Aber warum ist das so? Wie kann ein Fußballer so berühmt werden, dass ein Land drei Tage Staatstrauer ansetzt?
Für TROPS habe ich bei Stefan Krankenhagen, Professor für Populäre Kultur an der Universität Hildesheim, angerufen. Er hat unter anderem über die Poesie des Fußballs und verschiedene Fußballbiografien geschrieben. Er hatte kurz Zeit, um diese Fragen zu beantworten. ☎️
Herr Krankenhagen, warum ist Maradona jemand, für den sich auch so viele Menschen außerhalb vom Fußball interessieren?
Das liegt daran, dass Maradona eine öffentliche Gestalt und im besten Sinne ein Star geworden ist. Er ist jemand, für den man sich zum einen interessiert, weil er eine besondere Leistung vollbringt. Das ist das überragende Fußballspiel. Aber auch, weil sein Privatleben in der Öffentlichkeit stattgefunden hat und zu einem Teil der öffentlichen Auseinandersetzung geworden ist. Wir interessieren uns also für Maradona, weil wir ihn gar nicht vermeiden können. Er blickt uns aus den Klatschspalten an, aber er ist auch in den Feuilletons und stellt sein Leben aus.
Für was steht Maradona als Figur der Popkultur?
Zum einen steht er für sozialen Aufstieg. Für den amerikanischen Traum, dass man es durch Leistung schaffen kann – aus der Villa Miseria bei Buenos Aires zu einem Weltstar bei Barcelona und Napoli. Er steht immer dafür, dass auch die Unterprivilegierten eine Chance bekommen und sie ergreifen. Das ist die starke Erzählung. Und er steht für das, was Helden von Göttern unterscheidet. Sie werden eben menschlich. Er steht nämlich auch für all seine Verfehlungen, für all seine Fehler, für die Drogenkrisen, für den Aufstieg und den Fall. Das ist ja die mythische Komponente der Popkultur.
Welche Rolle spielt es, dass Maradona so gut Fußball gespielt hat?
Man darf nie vergessen: Es hätte alles nicht funktioniert bei einem Spieler mit minderer Qualität. Sie können durch alle Felder gehen: Ohne Leistung geht es nicht. Popkultur ist extrem protestantisch geprägt: Arbeit, Arbeit, Arbeit. Michael Jackson ist das beste Beispiel. Jackson wäre ohne die unfassbaren tänzerischen, musikalischen und choreographischen Fähigkeiten nicht so bedeutsam, das ist seine unfassbare Leistung als Popmusiker. Bei Elvis Presley, Buster Keaton oder Madonna ist es genauso. Aber es soll nicht nach Arbeit aussehen, sondern ganz leicht. Insofern ist der Moonwalk paradigmatisch für etwas, was sehr schwer und sehr leicht zugleich ist.
Jetzt ist Maradona gestorben. Bei vielen anderen Figuren der Popkultur stieg die Berühmtheit nach ihrem Tod stark an. Was bleibt von Diego Maradona?
Es gibt in der Popkultur keine Toten, sondern nur Untote. Michael Jacksons Handschuh, der kurz nach seinem Tod versteigert wurde, hat eine halbe Million Dollar gebracht. Das wird mit Maradona genauso passieren. Es bleibt alles und wird immer mehr. Jetzt steht all das, was in den Massenmedien von ihm vorhanden ist, zur Verfügung. Und Maradona kann jetzt nicht mehr widersprechen. Die Fähigkeit der Popkultur, alles auseinanderzureißen und neu zusammenzusetzen, immer neue Versatzstücke aus bereits vorhandenen Versatzstücken zu machen, wird zunehmen. Wir werden immer mehr von ihm bekommen. Egal was: Tragik, Heldenzusammenstellungen, Erinnerungen, Best-ofs oder Maradona-Kirchen.
Vielen Dank an Herrn Krankenhagen für die Antworten.
Der TROPS-Tipp 💁
Heute Morgen sagte eine Kollegin von mir: „Ich habe mich nie für Maradona interessiert. Aber dann habe ich die Doku gesehen.“ Und so ging es mir auch. Der Regisseur Asif Kapadia, der schon die Dokumentarfilme SENNA (über Ayrton Senna) und AMY (über Amy Winehouse) gemacht hat, hat mit der Doku DIEGO MARADONA eine unglaublich gute Dokumentation über Maradona geschaffen. Sie ist von 2019 und wenn ihr dieses Wochenende einen Film gucken wollt – er ist es wert.
Den Trailer kann ich hier verlinken – die ganze Doku gibt es unter anderem bei Amazon Prime oder für 3,99 Euro bei Apple zum Leihen.
Das beste Warm-Up aller Zeiten
1989 spielt der SSC Neapel gegen den FC Bayern München. Während sich Maradona aufwärmt, läuft der Song „Life is Life“. Und was Maradona in diesen zwei Minuten macht, ist einfach so wunderschön anzuschauen und zeigt, was für eine Lebensfreude und was für einen Spaß mit dem Ball dieser Typ ausgestrahlt hat. Wirklich, große Empfehlung!
Am 25. November 2020 ist Maradona mit 60 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Und ich hoffe, dass ihr hier noch etwas Neues lesen konntet und euch die Figur, der Fußballer und der Mensch Maradona etwas näher gekommen ist.
Bei TROPS geht es am Dienstag weiter mit der regulären zweiten Ausgabe. Und ich freue mich wie immer, wenn ihr den Newsletter abonniert! ✌️
Gerne könnt ihr ihn auch Freund*innen empfehlen. Herzlichen Dank!
Einen schönen Abend und alles Gute,
euer Laurenz
P.S. Zum 60. Geburtstag hat der Sportjournalist Oliver Wurm eine Sonderausgabe nur über Diego Maradona erstellt. Wer noch mehr großartige Bilder von ihm sehen oder Geschichten lesen möchte, der kann das Magazin DIEGO am Kiosk oder online kaufen.