Rassismus in der Champions League: Die dritte Ausgabe vom TROPS-Newsletter
Über einen Spielabbruch in Paris, eine fehlende Kita, Sport in der Kolonialgeschichte – und mit der besten Reportage des Jahres
Liebe*r Abonnent*in von TROPS,
sowas wie am vergangenen Dienstag hat es bislang noch nie gegeben: Ein Fußballspiel in der Champions League wurde abgebrochen – wegen rassistischer Äußerungen vom Vierten Offiziellen. Die wichtigsten Infos und einen guten Kommentar dazu findest du in dieser Ausgabe.
Außerdem habe ich weitere interessante Geschichten rausgesucht und im TROPS-Talk mit dem Journalisten Ronny Blaschke gesprochen. Er hat zu Sport und Kolonialismus recherchiert. Dazu gibt es den TROPS-Tipp und das Video der Woche. Letzte Woche hatte ich nur ein Foto zum Abschluss eingebunden. Direkt haben sich zwei von euch gemeldet und wieder ein Video gefordert. Alles klar! 😎
1. In der Champions League äußert sich ein Offizieller rassistisch – die Spieler gehen daher vom Platz
Am vergangenen Dienstag kam es in der Champions League, dem höchsten europäischen Wettbewerb, beim Spiel zwischen Paris Saint-Germain und Istanbul Başakşehir zum Abbruch. Was ist genau passiert? Und warum wurde danach auch über Feinheiten der rumänischen Sprache diskutiert?
Es läuft die 14. Spielminute. Pierre Webó, Assistenztrainer bei Istanbul, meckert von der Trainerbank zu laut über den Schiedsrichter. Bei den Trainerbänken steht direkt der sogenannte „Vierte Offizielle“, der neben dem Schiedsrichter auf dem Platz und den Assistenten am Rand (mit den Fahnen) zum Schiri-Team gehört. Er kontrolliert, dass sich auch die Betreuer sportlich verhalten und kommuniziert mit ihnen. An diesem Abend ist das Sebastian Coltescu aus Rumänien. Nun will er dem Schiedsrichter auf dem Feld Bescheid sagen, dass Webó eine Strafe bekommen soll.
Dabei verwendet Coltescu das Wort „negru“, rumänisch für schwarz. Weil derzeit keine Fans im Stadion sind, ist das für die Betreuer von Istanbul (und über die Mikros auch für die TV-Zuschauer) sehr gut zu hören.
Sofort beschweren sich Webó und andere Betreuer von Istanbul – auch, weil sie wohl vermuten, dass der Vierte Offizielle das N-Wort genutzt hatte. Das Schiedsrichter-Team versucht danach, gegenüber Webó und den Spielern die rumänische Bedeutung des Wortes zu erklären.
Ein anderer Spieler von Istanbul, Demba Ba, stellt dann aber klar: „Du sagst nie: dieser weiße Typ. Du würdest sagen: dieser Typ“, so Ba. “Warum aber sagst du, wenn es um Schwarze geht: dieser schwarze Typ?“ Hier siehst du die Szene im 13-sekündigen Video.
Diese kurze Erklärung vom Fußballer Demba Ba sollte sich nicht nur jede*r Fußballspieler*in – egal, ob Bundesliga oder Kreisklasse – angucken. Denn klar wird: Es ist rassistisch, Menschen auf ihre Hautfarbe zu reduzieren. Und doch passiert es auf den Fußballplätzen in ganz Deutschland immer wieder.
Die Spieler von Istanbul und Paris verlassen daraufhin den Platz. Das Spiel wird einen Tag später ab Minute 14 weitergespielt – mit einem neuen Schiedsrichter-Team.
„Ganz unabhängig davon jedoch, wie belastet oder unbelastet der Begriff ist – und wie bewusst rassistisch Coltescus Wortwahl war oder nicht: Von einem Vierten Offiziellen auf Champions-League-Niveau sollte man schlicht erwarten, dass er einen Spieler, Trainer oder Betreuer mit anderen Merkmalen beschreiben kann als Herkunft oder Hautfarbe – insbesondere bei einem Fehlverhalten.“
➡️ Das schreibt der Journalist Philipp Awonou in diesem Kommentar bei Sportschau.de, den ich dir zu diesem Thema empfehle.
2. Almuth Schult ist die einzige Mutter in der Bundesliga – und fordert mehr Unterstützung ⚽️
Almuth Schult ist eine der besten Torhüterinnen der Welt. Sie spielt für den VfL Wolfsburg und das deutsche Nationalteam. Im April 2020 hat sie Zwillinge bekommen. Seitdem ist die 29-Jährige die einzige Spielerin in der Frauen-Bundesliga, die Kinder hat.
Nach der Geburt habe es zwei große Herausforderungen für sie gegeben: das Wiedererreichen des Fitnesslevels und die Vereinbarkeit von Job und Familie. „Wir haben keinen planbaren Job. Wir haben nicht von Montag bis Freitag Bürozeit von 8 bis 17 Uhr, in der Kinder betreut werden können”, sagt sie der Deutschen Welle. Auch eine Kita gibt es zum Beispiel bei ihrem Klub nicht.
Schult setzt ihre Karriere fort – das machen aber nicht viele. Zahlen von 2017 zufolge beenden fast die Hälfte aller Spielerinnen ihre Karrieren vorzeitig, um Kinder zu bekommen. Der Fußball-Weltverband FIFA will nun einheitliche Regeln für Profispielerinnen und -trainerinnen festlegen: 14 Wochen Mutterschutz bei mindestens zwei Dritteln Gehalt, Gültigkeit weltweit, ab 1. Januar 2021.
Die Torhüterin stellt […] die Frage, „ob Mutterschutz überhaupt das Thema“ ist oder „vielleicht auch die Frage, ob Spielerinnen überhaupt genug Geld verdienen, um nebenbei auch ein Kind großziehen zu können“ im Vordergrund stehen sollte. (Deutsche Welle)
➡️ Das Gespräch mit Almuth Schult hat Hecko Flores für die Deutsche Welle geführt. Hier kannst du den ganzen Text lesen.
Übrigens: Mir ist noch kein Fußballspieler aus der Männer-Bundesliga bekannt, der seine Karriere wegen eines Kindes unterbrochen hat. Meist ist es eher so wie bei Florian Grillitsch von der TSG Hoffenheim. Der ist Ende Oktober Vater geworden. Die Bild berichtete:
Fun Fact: Eine Woche später stand Grillitsch wieder auf dem Platz – und schoss sogar ein Tor.
3. Human Rights Watch sieht beim Fall Caster Semenya eine „Menschenrechtsverletzung“
Caster Semenya ist Leichtathletin und eine der schnellsten Frauen der Welt. Die 29-jährige Südafrikanerin ist mehrfache Weltmeisterin und Olympiasiegerin über 800 Meter. Doch über diese Distanz darf sie derzeit nicht starten, weil ihre Testosteronwerte zu hoch sind. Das kritisierte Anfang Dezember die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
Semenyas Körper produziert mehr Testosteron als der ihrer Konkurrentinnen.
Der Leichtathletik-Weltverband führte einen Paragrafen für Sportlerinnen mit sogenannten Differences of Sex Developments (DSD) ein: Sie dürfen bei internationalen Rennen nur starten, wenn sie ihren Testosteronspiegel senken – zum Beispiel durch Medikamente.
Der Grund: DSD-Athletinnen könnten wegen des höheren Testosterons bis zu 4,5 Prozent leistungsfähiger sein. Andere Athletinnen sehen keine Chancen mehr, zu gewinnen. „Für mich fühlt sich der Wettkampf gegen Frauen mit intersexuellen Anlagen nicht richtig an. Er fühlt sich unfair an“, sagte die deutsche Läuferin Caterina Granz 2019 dem Tagesspiegel.
Jetzt hat Human Rights Watch einen großen Bericht vorgelegt. Die Organisation sieht in dem Testosteron-Paragrafen eine „Menschenrechtsverletzung“ und fordert den Weltverband auf, ihn zu ändern.
Das Dilemma für den Weltverband ist klar: Dass Athletinnen mit Medikamenten ihren Testosteronspiegel senken müssen, ist diskriminierend. Wenn es aber keine Grenzwerte beim Testosteron gibt, beeinflussen biologische Faktoren massiv den Wettbewerb.
„Die Natur trennt eben nicht so scharf wie der Sport mit seinen binären Kategorien: Schüler, Jugendliche. Männer, Frauen.“ (SZ)
➡️ Zu diesem Thema empfehle ich dir den ausführlichen Text von Johannes Knuth und Thomas Kistner in der Süddeutschen Zeitung. Du kannst ihn hier finden.
➡️ Das Interview mit der Berliner Läuferin Caterina Granz aus dem Tagesspiegel über Intersexualität im Sport findest du hier.
➡️ Caster Semenya sagt zu den Medikamenten: „It’s like killing yourself.“ Sie werde behandelt wie eine „lab rat“. Ein Porträt über diese beeindruckende Läuferin gibt es im Time Magazin, das du hier findest.
🙏 TROPS-Leserin Julia hat mich auf dieses Thema aufmerksam gemacht, weil sie es für alle Abonnent*innen spannend fand. Vielen Dank! Und schickt mir gerne weiterhin Themenideen, da freue ich mich.
Der TROPS-Talk ☎️
Sport spielt in der Kolonialgeschichte eine große Rolle. Mir war das so nicht bewusst, dir vielleicht auch nicht?
Der Journalist Ronny Blaschke hat dazu für den Deutschlandfunk recherchiert. In seiner Serie „Weltspiele – Sport und Kolonialismus“ hat er zwölf Teile veröffentlicht. Es geht zum Beispiel darum, wie die Apartheid in Namibia noch heute den Sport beeinflusst oder warum Maskottchen im US-Sport rassistische Stereotype unterstützen. Mit Ronny habe ich über seine Arbeit zu diesem Thema gesprochen.
Hallo Ronny, warum ist der Sport im Kontext der Kolonialgeschichte auch für Menschen interessant, die sich sonst nicht für Sport interessieren?
Die modernen Sportarten wie Fußball, Rugby, Cricket oder Tennis sind vor allem durch die Kolonialherren aus Britannien verbreitet worden. Die haben auch den Sport genutzt, um ihre „Untertanen“ zu „zivilisieren“.
Der Sport als Machtinstrument ist hier aus politischer und historischer Sicht interessant – aber auch die Rolle des Sports bei der Dekolonialisierung. Als viele Staaten Afrikas in den 50er und 60er Jahren unabhängig werden wollten, haben sie oft auch den Fußball genutzt, zur Mobilisierung oder zur Feierlichkeit. In Algerien haben sich einige Spieler, die beim Besatzer in der französischen Liga gespielt haben, zusammengeschlossen und am Befreiungskampf teilgenommen.
Wo gibt es heute noch koloniale Strukturen im Sport?
Zum einen haben wir die Klischees im Sport: Sub-Sahara-Afrikaner seien besser in der Ausdauer, Kenianer hätten Wundergene, in den USA könnten Afro-Amerikaner nicht schwimmen. Das hat aber nichts mit Biologie zu tun, sondern wenn überhaupt mit sozialen Faktoren. Warum sind denn überdurchschnittlich viele Kenianer erfolgreich beim Laufen? Vielleicht weil sie aus einer Hochebene kommen, weil sie mit Sport sozialen Aufstieg verbinden. Und Afro-Amerikaner waren nicht so erfolgreich beim Schwimmen, weil sie über Jahrzehnte nicht in die Schwimmbäder durften.
Ein anderer Punkt ist die Entwicklungshilfe, da wird der Fußball auch genutzt. Das Geld kommt vor allem aus dem Norden und die lokalen Bedürfnisse werden manchmal nicht berücksichtigt. Das ganze Talentscouting gehört auch dazu, also dass die europäischen Spitzenklubs Dependancen in Afrika und Lateinamerika haben. So wie 400 Jahre aus Brasilien, Peru, Chile, Uruguay Zucker, Silber und Kaffee kam, kommen jetzt neue Fußballer. Und das ist die neue Ware.
Wie kann sich das ändern?
Es wäre schön, die Geschichte mitzudenken. Das machen die Deutschen mit ihrer Kolonialgeschichte jetzt halbwegs. Es gibt aber in den USA, in Großbritannien oder in Spanien sehr wenig Museen oder wissenschaftliche Aufarbeitung über deren Kolonialgeschichte.
In Großbritannien, USA oder Australien sind Spieler aus Minderheiten auf dem Sportfeld überrepräsentiert. Aber bei Führungskräften, in Fankurven und in journalistischen Redaktionen sind sie stark unterrepräsentiert. Die Sportsysteme können sich nicht aus sich selbst reformieren. Dafür braucht es Quoten, Stipendien und politische Anstöße von außen.
Lieber Ronny, vielen Dank für das Gespräch.
Ronny Blaschke arbeitet als freier Journalist in Berlin. Er recherchiert zu gesellschaftlichen Hintergründen des Sports und hat mehrere Bücher geschrieben, unter anderem zu Fußball in Propaganda, Krieg und Revolution. Hier kannst du ihm auf Twitter folgen.
➡️ Zu der Serie „Weltspiele – Sport und Kolonialismus“ geht es hier. Falls du die App mit der Audiothek vom Deutschlandfunk hast, kannst du sie auch dort hören.
Der TROPS-Tipp 💁
Wohl in kaum einer Branche gibt es so viele Preise wie im Journalismus. Das kann ein Problem sein, weil dann manche Journalist*innen ihre Texte gezielt für Wettbewerbe schreiben. Es ist in diesem Fall aber ein großes Glück, weil ich dadurch diesen Text gefunden habe: „Der Boxer, der keiner sein wollte.“ Beim sehr renommierten Reporterpreis wurde der Text von Christof Gertsch und Mikael Krogerus als „Beste Sportreportage“ ausgezeichnet – und das wirklich zurecht. Darum geht es:
Es war die grösste Überraschung in der Geschichte des Sports: Buster Douglas besiegt den unbezwingbaren Mike Tyson. Und zerstört damit zwei Leben. Das von Tyson und sein eigenes.
Ich interessiere mich kaum für Boxen, aber dieser Text ist sowieso viel größer. Es geht um einen Jungen, der seinem Vater gefallen will und deshalb Boxer wird. Dann kriegt er 1990 die Chance, gegen Mike Tyson zu boxen. Er gewinnt – doch dann geht es bergab. Die beiden Journalisten sind in die USA gereist, haben Douglas und alte Begleiter getroffen und die Erlebnisse rekonstruiert. Nur mit Mike Tyson konnten sie leider nicht sprechen.
„Was damals in Tokio und vor allem in den dreißig Jahren danach wirklich geschah, ist keine simple Erfolgsstory – es sind vielmehr die komplexen Geschichten zweier ungleicher Männer, deren Leben sich in einer einzigen Nacht für immer veränderten.“
Ich habe in dem Text viel gelernt: übers Boxen, über das Verhältnis zu Eltern, über Leistungssport, über die Probleme des Erfolgs, über weirde Boxpromoter (Donald Trump ist auch dabei), über fragile Männlichkeit, über Pornografie und über Mike Tyson.
Daher meine Bitte: Lies’ diesen Text! Er ist sehr lang, ich habe 45 Minuten gebraucht. Aber vielleicht ist das ja was für die Ferien? Unter diesem Link kannst du ihn gratis lesen: Hier klicken.
Das Video der Ausgabe 🐶
Eigentlich haben Hunde auf dem Fußballplatz nichts zu suchen – was passiert, wenn sie trotzdem dort auftauchen, siehst du hier.
So, das war die dritte Ausgabe von TROPS. Vielen Dank, dass du sie gelesen hast!
Nun wünsche ich dir noch einen schönen Dezember und schon mal frohe Weihnachten! 🎄 Eine TROPS-Ausgabe gibt es noch in diesem Jahr!
Herzliche Grüße
dein Laurenz
P.S. Wie immer: Wenn du Feedback zu TROPS hast, schreib mir gerne. Und wenn du wen kennst, der sich auch für TROPS interessieren könnte, freue ich mich, wenn du den Newsletter weiterleitest. Danke! ✌️