Warum sich Neonazis im Kampfsport tummeln: Die sechste Ausgabe vom TROPS-Newsletter
Über eine Eishockey-Weltmeisterschaft, das Senatsrennen in Georgia, einen überragenden Läufer und eine schreibende Tennisspielerin
Liebe*r Abonnent*in von TROPS,
jetzt kommt schon die sechste Ausgabe vom Newsletter! Und ich wollte nur einmal kurz Danke fürs Lesen und das viele positive Feedback sagen. Zuletzt habe ich mich sehr darüber gefreut, dass mir eine TROPS-Leserin geschrieben hat:
„Was mich persönlich an dem Newsletter interessiert: Ich bin Pastorin und solche Geschichten aus dem Leben eignen sich manchmal ganz gut, um in Predigten irgendein Thema zu illustrieren, deshalb finde ich es super, dass Du so einen Newsletter machst.“
Egal, welchen Beruf du hast: Ich bin mir sicher, dass auch dieses Mal wieder was für dich dabei ist. Es geht um die politische Situation in Belarus, einen fantastischen Läufer und eine Tennisspielerin, die jetzt Bücher schreibt. Im TROPS-Talk ist Robert Claus zu Gast. Er hat zu Neonazis und Kampfsport recherchiert und erklärt, warum das so gut zusammenpasst.
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1. Die Eishockey-WM wird nicht in Belarus stattfinden – wegen der politischen Lage im Land
Ende Mai soll die Eishockey-Weltmeisterschaft ausgetragen werden. Als Austragungsorte waren Minsk (Belarus) und Riga (Lettland) vorgesehen. Doch nachdem es zuletzt massive Kritik an der belarussischen Politik und Präsident Alexander Lukaschenko gegeben hatte, hat der Eishockey-Weltverband nun reagiert und Belarus die WM entzogen.
In Belarus hat sich Alexander Lukaschenko nach der Wahl Anfang August zum Präsidenten erklärt. Die EU stuft die Wahl als gefälscht ein. Als viele Belaruss*innen gegen Lukaschenko protestiert haben, ging der brutal gegen die oppositionellen Demonstrant*innen vor. Es gab hunderte Verletzte und mehrere Tote.
Trotzdem hielt der Eishockey-Weltverband IIHF immer an Belarus als Ausrichtungsort fest. Der IIHF-Präsident René Fasel hatte Lukaschenko sogar vor einigen Tagen in Minsk besucht und ihn umarmt.
Jetzt wurde der Druck aber wohl zu groß – vor allem, weil Sponsoren ankündigten, sich zurückziehen zu wollen. Offiziell spricht der IIHF aber von „Sicherheitsbedenken“. Nun wird ein anderes Land gesucht, das die WM neben Lettland ausrichtet.
Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja ist zufrieden mit der Entscheidung: „Natürlich sagen einige, dass Sport und Politik zwei verschiedene Dinge sind. Aber wenn das Eis blutig ist, geht es nicht mehr um Sport“, sagt sie der Deutschen Welle
Zur Rolle der Sponsoren, die letztlich entscheidend war, schreibt der Journalist Johannes Aumüller:
„Umso entscheidender war es, dass sich der immensen Kritik neben manchen Regierungen auch die Sponsoren anschlossen. Geld ist bekanntlich die einzige Sprache, die viele führende Funktionäre verstehen. Es hat schon einige Beispiele in der Sporthistorie gegeben, in denen sich zeigte, wie sie konkret Dinge anschieben können“ – Johannes Aumüller, Süddeutsche Zeitung
➡️ Zum ganzen Kommentar von Johannes Aumüller bei der Süddeutschen Zeitung geht es hier.
2. Ein Basketball-Team hat dabei geholfen, dass Kelly Loeffler die Wahl in Georgia verliert – dabei gehört ihr der Klub 🏀
Neben der Präsidentenwahl in den USA gab es ja auch die Wahl um den Senat. Und in Georgia spielten da die Basketballspielerinnen von Atlanta Dream eine wichtige Rolle.
Atlanta Dream ist ein Basketball-Team aus Atlanta, der Hauptstadt von Georgia. Seit 2011 ist Kelly Loeffler Miteigentümerin des Klubs.
Loeffler ist Republikanerin und Anhängerin vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump. Sie bewarb sich nun für Georgia auf den Platz im Senat. Im Sommer des vergangenen Jahres stellte sie sich gegen die Black Lives Matter-Bewegung und nannte sie eine „sehr spalterische Organisation“.
Die Basketballspielerinnen, nicht nur von Atlanta, stellten sich öffentlich gegen Loeffler und suchten einen demokratischen Kandidaten, den sie im Rennen um den Senat unterstützen konnten. Dabei schlossen sie sich zusammen mit Spielerinnen von anderen Klubs aus der Women’s National Basketball Association (WNBA).
Sie entschieden sich für Raphael Warnock. Anfang August trugen die Spielerinnen Shirts mit „Vote Warnock“. Sofort stiegen seine Twitter-Follower und die Kampagnengelder. Tatsächlich gewann Warnock. Dadurch haben die Demokraten jetzt die Mehrheit im Senat.
Vor wenigen Tagen hat die Republikanerin Loeffler nun angekündigt, den Verein verkaufen zu wollen.
“When we wore the Warnock shirts, we didn’t just wear them because Kelly denounced the Black Lives Matter. We did our research,” said Angel McCoughtry, who spent 10 seasons with the Dream and now plays for the Las Vegas Aces. “We looked at health care. We looked at LGBT rights. We looked at social justice issues.” – Washington Post
➡️ Die Journalistin Candace Buckner hat für die Washington Post mit mehreren Spielerinnen gesprochen und einen lesenswerten Text über Atlanta Dream geschrieben. Hier kannst du ihn lesen.
➡️ Man sieht dabei: Auch wenn die Eigentümer der US-Klubs mächtig und reich sein mögen – die Spieler*innen spielen (oft) eine wichtigere Rolle für Fans und Gesellschaft.
3. Martin Korth hat eine geistige Behinderung – und hat sich jetzt an einen Marathon gewagt 🏃
Martin Korth hat seit seiner Geburt eine geistige Behinderung. Er ist 45 Jahre alt und lebt in Schleswig in Norddeutschland. Als die Pandemie losgeht, beschließt er, zu laufen. Sein Ziel: Ein Marathon. Weil es gerade aber keine Marathon-Events gibt, läuft Korth einfach vor seiner Haustür.
Markus Sutera, Journalist beim Spiegel und TROPS-Leser, hat Martin Korth dabei begleitet. An einem Morgen im November ging es los, Markus auf dem Fahrrad, Martin zu Fuß. 42,195 Kilometer.
Bei den Special Olympics, den Weltspielen für Menschen mit geistiger Behinderung und Mehrfachbehinderung, haben 2007 sechs Läufer am Marathon teilgenommen. Seitdem gibt es die Disziplin da nicht mehr. In Deutschland ist kein Marathonläufer mit geistiger Behinderung bekannt.
Es geht in dem Text nicht nur um Korths großartige Leistung, sondern auch darum, wie wichtig es ist, dass er überhaupt die Möglichkeit bekommen hat – und die Sportkoordinatorin der Behindertenwerkstatt ihn dabei förderte.
„Wenn Korth läuft, fühlt er sich frei. Und vor allem: so normal. Er ist dann einfach ein Mann, der läuft. Der selbst bestimmt, wie schnell er läuft, wohin er läuft. Der sieht, dass er es weit bringt, wenn er will. Kilometer 36, 37, 38. Und dass es um das geht, was er kann – und nicht wie sonst häufig um die Dinge, die er nicht kann.“
➡️ Es ist einfach eine wirklich schöne Geschichte. Wenn du sie lesen willst, findest du sie hier beim Spiegel (+). Außerdem gibt es dort eine Bilderstrecke zum Lauf, netterweise darf ich hier einen kleinen Einblick zeigen.
Der TROPS-Talk ☎️
Europas Neonaziszene trainiert für den Tag X, an dem den Ultrarechten der politische Umsturz gelingen soll. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Kampfsport. Autor Robert Claus hat dazu aufwändig recherchiert und nun das Buch „Ihr Kampf“ veröffentlicht. Warum gibt es diese enge Verbindung zwischen Kampfsport und Neonazis? Und wie gehen die Behörden damit um? Das hat mir Robert Claus per E-Mail für den TROPS-Talk beantwortet.
Hallo Robert, welche rechtsextremen Netzwerke im Kampfsport konntest du bei deiner Recherche erkennen?
Bei meiner Recherche habe ich mit vielen nationalen und internationalen Kampfsportevents und -organisationen beschäftigt. Der Markt ist ja riesig. Ein besonderer Fokus lag jedoch auf dem „Kampf der Nibelungen“ (KdN), der unter anderem von Dortmunder Neonazis organisiert wird und zwischen 2013 und 2018 zum größten Kampfsportevent der militanten Neonaziszene Westeuropas mit fast 1.000 Zuschauern herangewachsen ist. 2019 und 2020 wiederum wurde das Event verboten beziehungsweise durch eine polizeiliche Razzia gestört. Allerdings ist das Netzwerk aus militanten Kameradschaften und extrem rechten Kleidungslabels hinter dem KdN nach wie vor da – als sogenannte Kampfgemeinschaft. Und es gehört zu den größten, aktuellen bundesweiten Vernetzungen von Neonazis. Einige der Personen haben auch Trainings an Waffen durchgeführt. Das ist alles höchst gefährlich.
Warum gibt es so ein enges Verhältnis zwischen Neonazis und Kampfsport?
Nationalsozialistische Ideologie war schon immer und ist auch heute zutiefst gewaltvoll. Extrem rechte Politik im Allgemeinen, Neonazis speziell, interpretieren Leben immer als sozialdarwinistischen Kampf zwischen Menschen, Nationen und – in ihrer Sprache – „Völkern“. Für diesen Kampf rüsten sie sich und trainieren das Kämpfen. Das ist gar nicht neu, schon die historischen Nazis haben zum Beispiel in der Hitlerjugend viel geboxt. Und derlei Kampftrainings, auch im Wehrsport, ziehen sich in der Szene auch nach 1945 durch die Jahrzehnte. Neu an der jüngsten Entwicklung der vergangenen Jahre ist vor allem, dass Neonazis auch am Boom des neoliberalen Fitnessmarktes mitverdienen wollen und ihre Gewalt durch die verbesserten Trainingsmethoden im Kampfsport zusehends professionalisieren.
Wie sind die Verbindungen zum professionellen Kampfsport? Reichen diese rechtsextremen Beziehungen hoch bis zu den besten Sportlern?
Hier müssen wir zuerst den Begriff des „professionellen Kampfsportes“ klären. Denn er bezeichnet zumeist lediglich das Regelwerk, nach dem in den Disziplinen auf kommerziellen Fight-Nights gekämpft wird. Professionell heißt hingegen nur in den allerwenigsten Fällen, dass die Kämpfer von ihren Kämpfen leben können. Stattdessen arbeiten viele als Trainer, betreiben eigene Gyms oder auch Securityfirmen. Das tun auch Neonazis und nutzen ihre Gewaltkompetenz – also ihre erlernten Kampffähigkeiten – so für ihren Beruf. Darüber hinaus waren einige Cottbusser Hooligans Europameister im Kickboxen, einige Leipziger Hooligans standen auf den Bestenranglisten in den Mixed-Martial-Arts. Und immer dann, wenn die eigene Ideologie und frühere Gewalttaten der eigenen Kampfsportkarriere in die Quere zu kommen drohen, gibt es von den extrem rechten Kämpfern halbseidene Distanzierungen.
Das Gefühl, das man beim Lesen deines Buches hat, ist vor allem Angst, dass die Behörden dagegen nicht ausreichend vorgehen. Was müsste sich hier ändern, um den Kampfsport von rechtsextremen Verbindungen zu lösen?
Es tut mir leid, dass das Buch auch Angst auslöst, aber mir ist schon klar, dass ich einen ernsten Text zu einem gefährlichen Thema geschrieben habe. Generell braucht es in großen Teilen der Kampfsportwelt einen Kulturwandel: Prävention von Gewalt und menschenfeindlichen Einstellungen muss viel stärker in die Gyms getragen und dort gelebt werden. Die positiven Beispiele an Studios und Verbänden wiederum brauchen politische Unterstützung. Eventveranstalter sind aufgerufen, extrem rechte Kleidungsmarken nicht zu dulden und extrem rechte Kämpfer sowie Islamisten nicht einzuladen. Und zu guter Letzt sind auch die Behörden aufgerufen, sich viel stärker mit den Kampfsportstudios zu beschäftigen, die aus den entsprechenden Milieus kommen. Das wird bislang noch viel zu oft dem freien Markt überlassen, doch dessen politische Selbstregulierung scheint eben nicht zu funktionieren. Darüber hinaus kann sich jede*r Kampfsportler*in fragen, ob er beziehungsweise sie Teil einer toxischen Trainingskultur und der Gewaltausbildung militanter Neonazis sein möchte oder einen Studioraum der Solidarität und des gemeinschaftlichen Miteinanders erleben möchte.
Lieber Robert, vielen Dank für diese Einblicke!
➡️ Das Buch „Ihr Kampf“ kannst du unter diesem Link bestellen. Es kostet 19,90 Euro und ist im Werkstatt Verlag erschienen.
➡️ Wenn du dich mehr für das Thema interessierst, kannst du Robert auch bei Twitter folgen.
Der TROPS-Tipp 💁
Andrea Petković ist eine der besten deutschen Tennisspielerinnen der letzten Jahre. In diesem Jahr will sie ihre Karriere beenden. Und sie ist schon in anderen Jobs unterwegs: Beim ZDF arbeitet sie als Moderatorin, außerdem hat sie 2020 ein sehr gut besprochenes Buch geschrieben. (Das liegt bei mir noch auf dem Bücherstapel, habe es noch nicht gelesen, ist aber geplant!) 🎾
Der NDR Sportclub hat Petković in einem 30-minütigen Film porträtiert. Es geht um ihren Kampf mit schweren Verletzungen, um Beleidigungen wegen ihrer muskulösen Arme, den richtigen Zeitpunkt fürs Aufhören und das Leben als Autorin.
„Ich wollte vor allem die Themen bearbeiten, die nicht in der Öffentlichkeit stattfinden, die 90 Prozent an Trainingsalltag und Niederlagen und einsamen Nächten in Hotels, die eigentlich den Großteil eines Tennisspielerlebens ausmachen.“
➡️ Zur wirklich sehenswerten kurzen Doku geht es unter diesem Link.
Das Video der Ausgabe 📺
Vielleicht kennst du es auch schon, aber ich bin letztens mal wieder über dieses überragende Interview mit Walter Frosch gestolpert. Der Fußballspieler vom FC St. Pauli ist legendär, 2013 ist er leider verstorben. Ein paar Jahre vorher machte er beim „Tag der Legenden“ mit und ließ sich interviewen. Im Stutzen dabei: 🚬
So, das war die sechste Ausgabe von TROPS. Wenn du mir einen riesigen Gefallen tun möchtest, dann empfiehl’ den Newsletter doch weiter an deine Freund*innen. Danke! 🙌
Dir nun schöne zwei Wochen – dann kommt die nächste Ausgabe!
Herzliche Grüße
dein Laurenz
P.S. Wenn du noch kein*e Abonnent*in bist, kannst du hier abonnieren: