Was Fußball mit Trauer zu tun hat: Die fünfte Ausgabe vom TROPS-Newsletter!
Über einen Fußballer und die Bild-Zeitung, eine sächsische Judoka als Afrikameisterin, zwei Monate allein auf dem Meer und die Menschenrechte
Liebe*r Abonnent*in von TROPS,
hoffentlich bist du gut ins neue Jahr gekommen! 2021 steht sportlich viel an, unter anderem werden (wahrscheinlich) die Olympischen Spiele in Tokio und die Fußball-EM der Männer nachgeholt.
Bei TROPS geht es natürlich auch weiter und ich würde mich sehr freuen, wenn du den Newsletter weiterempfiehlst. 🙌
In dieser Ausgabe geht es unter anderem um eine sächsische Judoka, die vor wenigen Wochen Afrikameisterin geworden ist – und was daran vielleicht problematisch ist. Außerdem hat meine kleine Umfrage ergeben, dass sich viele von den TROPS-Leser*innen für Sportpolitik interessieren. Daher gibt es auch eine Geschichte dazu, wie es mit einer Menschenrechtsstrategie im Sport aussieht. Im TROPS-Talk spreche ich mit Carmen von dem Projekt „Trauer und Fußball“ und dann empfehle ich noch einen überragenden Sportfilm, der was mit Kufen zu tun hat. 🚀
1. Die Bild zweifelt an der Identität eines Hamburger Fußballspielers – jetzt gibt es Widerstand aus der Politik
Bakery Jatta ist Fußballspieler beim Hamburger SV. Doch seit eineinhalb Jahren muss er sich immer wieder den Vorwurf anhören, er habe eigentlich eine andere Identität.
Jatta ist in Gambia aufgewachsen und flüchtete 2015 nach Deutschland.
Schnell fiel sein Talent als Fußballer auf und er durfte ein Probetraining beim Hamburger SV machen. Der HSV nahm Jatta im Sommer 2016 unter Vertrag – damit erhielt Jatta vorerst eine Aufenthaltserlaubnis.
Die Bild-Zeitung warf Jatta 2019 vor, dass er eigentlich Bakary Daffeh heiße und zwei Jahre älter sei. Durch die andere, jüngere Identität habe er als minderjähriger Flüchtling eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen wollen. Die Zeitung präsentierte auch ehemalige Trainer von Daffeh und suchte nach immer mehr Beweisen für ihre These.
Das Bezirksamt-Mitte prüfte die Anschuldigungen, stellte aber die Ermittlungen wegen fehlender Anhaltspunkte ein.
Jetzt beschäftigt sich wohl das Institut der Biologischen Anthropologie in Freiburg mit Jatta. Die „Bild“ machte vor einigen Tagen öffentlich, dass das LKA dort ein Gutachten in Auftrag gegeben habe. Die Forscher*innen sollen mit Hilfe von Analysen der Bewegungsabläufe klären, ob Jatta eigentlich Daffeh ist.
Die Fans vom Hamburger SV werfen der Bild rassistische Motive vor. Sie stellen sich klar hinter Jatta und schreiben in einem öffentlichen Brief: „Wir wollen, dass diese elendige Schmierenkampagne ein für alle Mal ein Ende hat!“
Abgeordnete der Linken haben in der Hamburger Bürgschaft nun eine Kleine Anfrage eingereicht. Sie fragen, ob sich die Staatsanwaltschaft festgebissen habe und wie viel Steuergeld für die endlosen Überprüfungen genutzt wurde.
„Love Hamburg – Hate Racism! Bakery – no matter what, we got your back!“ – Aus dem öffentlichen Brief der aktiven Fanszene des HSV
➡️ Eine ausführliche und verständliche Darstellung der aktuellen Ereignisse gibt es beim Hamburger Abendblatt unter diesem Link.
➡️ Der Journalist Johannes Kopp greift das Thema in diesem taz-Kommentar auf und wirft der „Bild“-Zeitung „obsessiv anmutenden Ermittlungseifer“ vor.
2. Judoka Marie Branser aus Sachsen tritt jetzt für die DR Kongo an – das sorgt für Kritik 🥋
Die Olympischen Spiele sind der Traum vieler Sportler*innen. Dafür sind einige bereit, sehr viel Zeit, Geld und Mühen zu investieren. Eine Sportlerin aus Sachsen ließ sich sogar von der Demokratischen Republik Kongo einbürgern.
Marie Branser aus Leipzig ist 28 Jahre alt und Judo-Kämpferin.
Obwohl sie bereits Medaillen bei internationalen Wettkämpfen geholt hat, nahm sie der Judo-Verband Sachsen 2019 aus dem Landeskader. Die Konkurrentinnen waren zu gut. Damit verlor Branser ihren Platz in der Nationalmannschaft – und somit auch die Chancen auf eine Teilnahme an den Olympischen Spielen in Tokio.
Also wechselte Branser die Nationalität und tritt seit 2019 für den Judo-Verband der DR Kongo an. Weil ihre Großeltern lange dort gelebt und gearbeitet haben, hätte sie einen Bezug zu dem Land, sagte Branser dem Deutschlandfunk. Branser ist nicht die einzige Sportlerin, die für bessere Chancen den Verband gewechselt hat.
Mittlerweile ist Branser Afrikameisterin, sie gewann vor wenigen Wochen den Wettbewerb in Madagaskars Hauptstadt Antananarivo. Noch hat sie Chancen auf eine Teilnahme an den Olympischen Spielen.
Nur: Branser hat in der kongolesischen Mannschaft die einheimische Konkurrentin Monica Bwanga verdrängt. Die Kongolesin kämpft seitdem kein internationales Turnier mehr und hat dadurch selbst keine Chancen mehr auf die Olympischen Spiele.
Zuletzt hat Branser […] um Anerkennung für ihre Entscheidung mit der Begründung geworben, sie investiere ohne staatliche Förderung sehr viel Geld und etliche Nerven. Ein Argument, das innerhalb des deutschen Sportkosmos vielleicht Respekt verdient. Mit etwas Abstand betrachtet aber bedient sich Marie Branser eines Systems, das die koloniale Ausbeutung auch im Bereich des Sports fortschreibt. – Kommentar von Johannes Kopp, taz
➡️ Der Journalist Johannes Kopp kritisiert Bransers Wechsel in der taz. Den ganzen Kommentar findest du hier.
➡️ Mehr zu den Hintergründen von Bransers Wechsel gibt es hier von der Journalistin Jennifer Stange beim Deutschlandfunk.
3. Gerade läuft die härteste Segel-Regatta der Welt. Wie ist das, 60 Tage allein auf einem Boot zu sein? ⛵️
Die Vendée Globe ist das wohl härteste Segelrennen der Welt. Alle vier Jahre steigen Skipper*innen auf ihre Boote und segeln alleine los. Sie starten an der französischen Atlantikküste, dann geht es einmal um den Globus. Die bislang kürzeste Zeit dafür waren 74 Tage. So lange sind die Skipper*innen alleine an Bord. Es ist eigentlich ein Wettrennen, aber wichtig ist vor allem das Ankommen.
Die Deutsch-Französin Isabelle Joschke ist eine der Teilnehmer*innen. Nach 59 Tagen auf See hat sie dem Spiegel ein Interview gegeben und erzählt, wie sie sich alleine auf dem Schiff hält.
Sie berichtet davon, dass sie genug zu tun hat: das Boot steuern, schreiben, Videos drehen. Trotzdem ärgere sie sich sehr, dass sie den E-Reader wohl zu Hause vergessen habe. „Ich habe sonst immer und überall ein Buch bei mir“, sagt sie.
Zu essen gibt es bei ihr zum Beispiel Curry mit Fleisch, Reis und Gemüse oder Fisch. Das wurde vor der Abfahrt vorgekocht.
Seit über 50 Tagen hat Joschke kein Land mehr gesehen, „nur Meer, Meer und Meer“.
SPIEGEL: Gibt es Momente, in denen Sie das Alleinsein besonders genießen?
Joschke: Gestern, als ich wieder auf den Atlantik gesegelt bin, war so einer. Auf einmal war nach Wochen voller Sturm und Kälte die Sonne wieder da. Die Farben, die Lichter im Himmel waren so schön. Das Boot segelte schnell, ein bisschen über dem Wasser, und alles war angenehm. Ich habe Musik angemacht, eine bunt gemischte Playlist von Freunden, und nur herausgeschaut: wie der Himmel blau und orange war und auf einmal alles sanft geworden ist. Da wollte ich einfach nur sitzen und es genießen.
➡️ Kurz nach der Veröffentlichung des Interviews hat Joschke wegen technischer Probleme am Boot aufgegeben. Das Interview mit der Journalistin Anne Armbrecht beim Spiegel ist aber so oder so lesenswert, du findest es hier (+).
4. Sollen sich Athlet*innen bei den Olympischen Spielen politisch äußern dürfen?
In den Regeln des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), das die Olympischen Spiele organisiert, steht: „Jede Demonstration oder politische, religiöse oder rassische Propaganda ist an den olympischen Stätten, Austragungsorten oder in anderen olympischen Bereichen untersagt.“ Doch ist das eigentlich noch zeitgemäß?
Der Präsident des Leichtathletikweltverbandes hat angedeutet, politische Meinungsäußerungen bei Sportveranstaltungen zuzulassen. „Wenn ein Athlet auf dem Podium niederknien möchte, dann unterstütze ich das“, sagte Sebastian Coe.
Das IOC hat aber nach wie vor seine strengen Regeln für die Olympischen Spiele. Der Chef des IOC, Thomas Bach, sagte im Oktober, dass Olympia kein „Marktplatz der Demonstrationen“ werden dürfe.
Nun hat das IOC eine Befragung bei den Athlet*innen gestartet. Nach Informationen der FAZ wird dabei zum Beispiel gefragt, wie sehr ein Protest anderer Sportler*innen den eigenen sportlichen Auftritt stören würde.
Schon seit einiger Zeit fordern Athletenvertretungen verschiedener Länder (auch aus Deutschland), die Achtung der Menschenrechte zum achten Prinzip der Olympischen Charta zu machen.
Außerdem gibt es ein interessantes IOC-Gutachten von dem früheren Hohen Kommissar für Menschenrechte bei den UN, Prinz Seid Al-Hussein, und der neuseeländischen Juristin Rachel Davis. Sie empfehlen dem IOC, die UN-Leitprinzipien für multinationale Unternehmen als Regelwerk für Fragen zu Menschenrechten umzusetzen.
„Jeder Weltverband trägt zu Menschenrechtsverletzungen bei. Das ist keine Frage des Ob, sondern des Wie. Globale Unternehmen wissen das. Für sie ist eine Beschwerde in diesen Fragen ein Geschenk, sie können das Problem geregelt angehen. Ein Regelwerk, das sich an den Leitprinzipien orientiert, gibt vor, was zu tun ist.“ – Minky Worden, Direktorin für weltweite Initiativen bei Human Rights Watch (HRW)
➡️ In der FAZ hat Christoph Becker ausführlich über das Thema geschrieben und geht dabei auch auf die Olympischen Winterspiele 2022 ein, die in Peking ausgetragen werden sollen. Den ganzen Artikel findest du hier.
Der TROPS-Talk ☎️
Carmen Mayer ist Trauerbegleiterin in Berlin – und Fußballfan. Im Herbst hat sie das Fanzine „Trauer und Fußball“ herausgegeben. Sie sammelt sie alles, was mit Trauerkultur und Fußball zu tun hat. Wie passen denn diese Bereiche zusammen? Das habe ich sie für den TROPS-Talk gefragt.
Hallo Carmen, was haben Fußball und Trauer miteinander zu tun?
Fast nirgends ist Trauer so öffentlich sichtbar wie im Fußball. Man denke nur an die Schweigeminute, die Trauerchoreographien für verstorbene Fans und Fußballer_innen, den Trauerflor, Fußballer, die ihr Tor ihren Verstorbenen widmen oder leere Stadionsitze mit Blumen und Kerzen. Die Trauer gehört im Fußball und seiner Fankultur ganz selbstverständlich mit dazu und wird nicht aussortiert.
Welche Rolle kann der Fußball bei der Trauerarbeit spielen?
Für viele Menschen ist der Fußball eine wichtige Ressource in Zeiten von Trauer. Er kann Halt, Orientierung und Struktur geben, in einer Welt, in der plötzlich alles ganz anders ist. In der Gemeinschaft fühlt man sich nicht allein, erfährt Mitgefühl und Anteilnahme. Zudem sind das Abschiednehmen und das Gedenken Möglichkeiten, selbst aktiv zu werden in der Trauer und darüber hinaus den verstorbenen Menschen zu würdigen und an ihn zu erinnern.
Manche Fans trauern nach einem verlorenen Spiel, weinen, sind tagelang schlecht gelaunt. Menschen, die keine Fans sind, sagen da: Das ist doch übertrieben, es gibt viel Schlimmeres. Was würdest du diesen Menschen gerne sagen?
Da möchte ich die Menschen gerne einladen, nicht zu bewerten, worüber getrauert werden darf. So wie wir Menschen unterschiedlich sind, so trauern wir auch individuell verschieden und wir alle haben das Recht auf unsere ganz eigene Trauer, ohne von anderen Menschen dabei bewertet zu werden.
Liebe Carmen, vielen Dank für das Gespräch!
Mehr zu dem Projekt findest du hier auf der Website oder bei Twitter.
Der TROPS-Tipp 💁
Ich hasse Eislaufen. In der achten Klasse war ich mal auf einem Kindergeburtstag eingeladen und wir fuhren zu einer Eishalle. Ich hatte das vorher noch nie gemacht, wollte aber cool sein und habe keinen Fahrradhelm aufgesetzt. (Den hatte mir meine Mutter noch mitgegeben.) Nach ein bis zwei Runden hat es mich dann so klassisch auf den Hinterkopf gehauen, Kufen nach vorne in die Luft, dass ich im Sanitäter-Raum wieder aufgewacht bin. Seitdem bin ich nie wieder Eislaufen gewesen.
Trotzdem habe ich am Wochenende den Film „I, Tonya“ gesehen. Er erzählt die wahre Geschichte der Eiskunstläuferin Tonya Harding, die in einen riesigen Skandal der US-amerikanischen Sportgeschichte verwickelt war. Es ist ein sehr humorvoller Film und man lernt, dass es beim Eiskunstlaufen eben nicht immer nur um Leistung geht – sondern auch um das Auftreten. Außerdem zeigt der Film, wie besessene Eltern ihre Kinder beim Leistungssport beeinflussen können. Unbedingt angucken! ⛸
➡️ Den Film kannst du zum Beispiel bei Netflix sehen.
Das Video der Ausgabe 📺
Der Fußballverein Chorley FC spielt in der sechsten Liga in England. Am Samstag hat er es geschafft, im Pokalwettbewerb gegen ein Team aus der zweiten Liga zu gewinnen. Die Spieler feierten den Sieg danach mit einem Song von Adele.
„Someone like you“ ist mittlerweile sowas wie die Vereinshymne bei dem Klub. Und ich finde, es klingt relativ solide. Bei Twitter wurde das Video aus der Kabine schon mehr als sieben Millionen mal gesehen. 🎼
So, das war die fünfte Ausgabe von TROPS.
Nun wünsche ich dir zwei schöne Wochen und dann gibt es schon wieder die nächste TROPS-Ausgabe. Wenn du in der Zwischenzeit spannende Beiträge, Filme oder Bücher siehst, dann schreib mir gerne eine Nachricht!
Und wenn du noch Leute kennst, für die der Newsletter vielleicht auch etwas wäre, leite ihn gerne weiter. Das hilft mir, um noch mehr Leute zu erreichen. 🙏
Herzliche Grüße
dein Laurenz
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